Das grüngraue Mumbai

Mumbai war die Stadt, die ich diesmal auf meiner Indien Reise unbedingt sehen wollte.
Wären wir mit dem Bus oder Zug von Udaipur nach Mumbai gefahren, hätten wir zu viel Zeit verloren. Also sind wir geflogen. Der Flug dauerte nur etwas mehr als eine Stunde und trotzdem gab es Essen und Trinken an Board. Jawohl liebe europäischen Kurzstrecken Fluglinien, nehmt euch bitte mal ein Beispiel daran!

Der erste Eindruck

Der Flughafen von Mumbai ist wie der in Delhi: schick und modern. Wir wollten uns zuerst ein Taxi am Taxistand nehmen und ich stellte mich an. Als ich endlich an der Reihe war, hiess es, dass es keine Taxis mehr gebe. Ich fragte wie lange die Wartezeit wäre und bekam die Antwort «keine Ahnung, ob heute nochmal Taxis fahren werden». AHA, da wird wohl pünktlich um 17 Uhr Feierabend gemacht.
Also gut, Felix bestellte dann eben einen Ola Fahrer. Vom Flughafen fuhren wir 1,5 Stunden bis zu unserer Unterkunft in Colaba. Das Viertel Colaba ist südlich von Mumbai gelegen und gilt als das bekannte Touristenviertel. Unsere Unterkunft war leider ziemlich heruntergekommen, was mich ärgerte, weil wir lange nach einer gescheiten Unterkunft gesucht hatten. Naja, nachdem ich dann ein bisschen das Zimmer desinfiziert und Mückenschutzmittel gesprüht habe, ging es auch.

Das graue Mumbai

Nachdem wir 12 Stunden geschlafen haben, haben wir uns auf die Suche nach einem Supermarkt gemacht. Nach dem Frühstück entschieden wir, dass ich mal zu einem guten Arzt in Mumbai gehe, damit er sich mal meine Brust anschaut. Sein Fazit: Smog. Die Smogbelastung sei sehr hoch in Mumbai (bzw. in ganz Indien) und das setze sich auf den Atemwegen ab. Ich hatte das schonmal vermutet, wusste aber nicht was ich dagegen tun kann. Ich finde es so erschreckend wie viel Smog in den indischen Städten ist. Das ist für alle Lebewesen (egal ob Mensch oder Tier) so schlecht. Ich habe jedoch das Gefühl, dass das in Indien geduldet wird, denn man könnte meiner Meinung nach mehr machen. Wir sind danach noch an den Strand gelaufen, dort sieht man es auch deutlich:

Mumbai grau Smog

Und ich habe keine Meeresbrise gespührt, so sehr hängt der Smog am Strand fest.
In der Nähe des Arztes befand sich aber auch «kotachi wadi», ein kleiner süsser Stadtteil mit tollen Häusern:

bunter Stadtteil

Das grüne Mumbai

Wir verbrachten zwei weitere Tage in Mumbai. An einem der Tage schauten wir uns Colaba nochmal genauer an.

Wir besuchten den High Court und die Universität, die im alten britischen Stil gebaut worden sind. Danach sind wir zum bekannten 5 Sterne Hotel «Taj» gegangen und zum «Gate of India», was direkt am Hafen ist. Hier war leider wieder das gleiche Problem anzutreffen: Smog. Wir konnten nicht weit aufs Meer hinausschauen. Danach sind wir zum Park gelaufen, in dem Cricket gespielt wurde. Wir beide verstehen das Spiel nicht, aber schauten dennoch eine Weile den Indern beim Spielen zu. Das ist schon krass: es ist über dreissig Grad mit hoher Luftfeuchtigkeit und die Inder stehen in der prallen Sonne mit ihren Kurtas (lange Gewänder) und spielen Cricket!

Nachdem wir uns mit sehr leckerem südindischem Essen gestärkt haben, sind wir noch zum «Queen Marina Drive» gelaufen. Das ist die bekannte Promenade am in Südmumbai. Die Promenade ist ganz nett und es war einiges los, denn es war kurz vor Sonnenuntergang. Felix hat es nicht gefallen, weil direkt an der Promenade die Autos die Strasse war und ich fand es nicht so schön, weil es auch hier versmogt und dreckig war. Aber hey, wenigstens hat es mal ein wenig nach Meer gerochen.

Dharavi – der grösste Slum Asiens

Am nächsten Tag hatten wir etwas Besonderes vor: wir hatten eine Tour nach Dharavi gebucht. Eigentlich hätte es eine Gruppentour sein sollen, aber Felix und ich waren die Einzigen. Somit hatten wir eine 1:1 Führung, da es zwei Guides gab. Bilder durften auf der Tour nur selten schiessen. Für mich war es wichtig, Dharavi zu besuchen um ein besseres Bild von Indien zu bekommen, denn Armut ist ein weitverbreitetes Problem in diesem Land. Zusammen mit unseren Guide fuhren wir mit dem lokalen Zug dorthin:

Nun erstmal zu Dharavi: Es ist der grösste Slum in ganz Asien und der zweitgrösste auf der ganzen Welt. Hier leben circa 1 Millionen Menschen auf engstem Raum beieinander. Wir haben den Industriebereich, die Wohnsiedlungen, den Park und die Schule besucht. Das war keineswegs einfach, weil wir mit viel Armut konfrontiert wurden, aber extrem Spannend für uns.

Im Industriebereich konnten wir einigen Männern bei ihrer harten Arbeit zusehen. Und mit hart meine ich wirklich hart! Die Männer arbeiten täglich rund 13 Stunden unter schlechten Bedingungen. Die Räume sind schlecht belüftet und dreckig, zudem ist die Arbeit körperlich sehr anstrengend. Wir haben zum Beispiel zwei Männern zugesehen, die um ein Fass standen, in dem sie Wäsche coloriert haben. Die Kleidungsstücke mussten sie mit eigener Körperkraft colorieren und auswringen. Allein das ist schon anstrengend, und hier umso mehr, weil der Raum so warm war! Ich war nach 10 Minuten mehr als froh, den Raum wieder verlassen zu können.

Der Tageslohn liegt hier bei circa 5 Euro am Tag! Das macht pro Monat 130 Euro, für so eine harte Arbeit! Das klingt sehr wenig und ist es letztendlich auch. Aber für die Menschen in Dharavi ist es viel Geld, denn die meisten Arbeiter kommen aus den Bundesstaaten Bihar, Uttar Pradesh und West Bengalen. Die Staaten sind für ihre extreme Armut und hohe Arbeitslosigkeit bekannt. Die Arbeiter fahren 2x pro Jahr nach Hause zu ihren Familien und geben ihnen einen grossen Teil des Geldes, das sie in Mumbai verdient haben, ab, damit Frau und Kinder überleben können. Die Fahrt z.B. von Patna (Bihar) nach Mumbai dauert dabei rund  27 Stunden. Es ist einfach nur schrecklich, wie viel Last diese Menschen auf sich nehmen müssen um zu überleben.

Umso mehr hat es mich beeindruckt wie zufrieden und glücklich sie wirkten. Laut unseren Guides sind die Migranten das dort auch, denn für sie ist es ein «Aufstieg» in Dharavi zu leben und Geld zu verdienen. Das klingt erstmal verständlich, aber man muss sich dennoch vor Augen halten, dass Dharavi ein Slum ist. Soll heissen, die Wohnsiedlungen sind extrem beengt, und die Gänge sind schmal und dunkel, Tageslicht gibt es kaum. Viele Menschen haben kein fliessendes Wasser und Elektrizität ist rar. Müll liegt überall herum, Flüsse sind verdreckt und es stinkt. Aus deutscher Sicht ist das sehr wenig Lebensqualität, wenn gleich es aber auch einen Park und Fitnessstudios gib.


Was mich positiv überrascht hat, war, dass 80% der Kinder, die in Dharavi leben, zur Schule gehen. Wie hoch die Stigmatisierung der Slumbewohner im restlichen Mumbai ist, weiss ich jedoch nicht. Wir haben dazu diverse Meinungen gehört.
Falls du in Mumbai sein solltest, mache unbedingt diese Tour. Sie lohnt sich!

Kleines Gedankenspiel:

Bevor der Blogeintrag endet, lade ich dich zu einem kleinen Gedankenspiel ein.
In den letzten Wochen habe ich einige sehr interessante Unterhaltungen mit Einheimischen führen dürfen. Eine davon passt meiner Meinung nach auch gut zu Dharavi. Es geht um die Frage:
Wann ist es genug? Dazu kannst du auch ein kleines Gedankenspiel machen und dich mal folgende Sachen fragen:

Wann hast du genug?
Wenn ich ein WG-Zimmer habe/ eine Mietswohnung/ein Eigenheim/eine Villa mit Pool habe?

Wann hast du genug?
Wenn ich ein E-Bike/ ein Motorrad/ ein Gebrauchtwagen/ einen Neuwagen/ eine Jacht habe?

Wann hast du genug?
Wenn ich einen Sommerurlaub/ eine Europareise/ 100 Länder bereist/ eine Weltreise gemacht habe?

Wann hast du genug?
Wenn ich vergeben bin/ geheiratet habe/ ein Kind/ zwei Kinder/ ein Enkelkind/zwei Enkelinder bekommen habe?

Wann hast du genug?
Wenn ich einen dritten Wintermantel/ das fünfte Sommerkleid/ die zehnte Hose/ die passenden Rücksäcke zu jedem Anlass gekauft habe?

Wann hast du genug?
Wenn ich 20 Stunden/30 Stunden/ 40 Stunden/ 50 Stunden/ 60 Stunden arbeite?

Wann hast du genug?

Das Streben nach «mehr» ist wichtig, denn dadurch entwickeln wir uns stetig weiter. Aber Grenzen sind notwendig. Das zeigt uns die Erde am besten, denn sie hat nur begrenzte Ressourcen. Und es ist mehr als überfällig, dass wir ihre Grenze wahren. Dazu müssen wir aber erst unsere eigenen Grenzen kennen. Das kann bei jedem anders sein. Der eine braucht keinen fünften Wintermantel, der andere braucht kein Fahrzeug, der andere braucht keine Reise, etc.
Wichtig ist nur, dass du weisst, was du brauchst und deine Grenzen kennst. Indien und die intensive Gepräche haben mir dabei geholfen meine kennenzulernen.

Vielleicht magst du ja mal darüber nachdenken? Wann hast du genug?

Verfasst am 18.November 2022 in Goa

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